Partizipation ist keine Frage der pädagogischen Ausrichtung einer Kita, sondern das Recht jedes Kindes ab dem Zeitpunkt seiner Geburt. Die Einführung von Beteiligungs- und Beschwerdeverfahren sowie deren kontinuierliche Weiterentwicklung sind rechtlich für jede Kita verpflichtend. Allerdings gibt es unterschiedliche Stufen der Partizipation. In diesem Blogbeitrag erfährst du, auf welcher Stufe der Partizipation deine Kita steht. Denn der Umfang der Partizipation und die damit verbundene Haltung gegenüber den Kindern ist oftmals sehr unterschiedlich. Selbst in einer Kita gibt es oftmals große Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen oder Fachkräften.
Das bedeutet Partizipation in der Kita
Partizipation bedeutet nicht, „Kinder an die Macht“ zu lassen, oder „Kindern das Kommando“ zu geben. Partizipation heißt, Entscheidungen, die das eigene Leben und das Leben der Gemeinschaft betreffen, zu teilen, und gemeinsam Lösungen für Probleme zu finden. Die Selbstbestimmtheit ist eng mit der Partizipation verbunden. Selbstbestimmtheit meint, dass Kinder über Dinge, die sie selbst betreffen, entwicklungsangemessen entscheiden.
Selbstbestimmung bezieht sich auf unmittelbare Wünsche, Grenzen und Bedürfnisse des Kindes, wie beispielsweise die Entscheidungen des Alltags, die Kinder betreffen :
- Was und wie viel möchte ich essen und trinken?
- Möchte ich Hausschuhe tragen oder lieber in Socken laufen?
- Bin ich müde und tut mir ein Mittagsschlaf gut oder möchte ich mich heute nur ausruhen?
Partizipation meint eher demokratische Mitbestimmungsrechte in sozialen Gemeinschaften. Die individuellen Interessen eines Kindes laufen unter Umständen der Entscheidung der Gemeinschaft entgegen. Daher ist es wichtig, beide Beteiligungsformen zu trennen. Aber Selbstbestimmung ist der Vorläufer und Wegbereiter für Partizipation!
Falls du bei den vorangehenden Beispielen gedacht hast, dass Kinder das noch nicht entscheiden können oder sie überfordert sind, dann hast du die Partizipation noch nicht richtig verstanden. Es liegt in der Verantwortung von uns Fachkräften, die Kinder in ihren Entscheidungen zu unterstützen. Denn die Beteiligung von Kindern bedeutet immer, dass Kinder nicht alleine, sondern mit Erwachsenen ein Problem bearbeiten oder ein Projekt gestalten.
Kinder sind dabei nicht kreativer, demokratischer oder offener als Erwachsene, sie sind nur anders und bringen aus diesem Grunde andere, neue Aspekte und Perspektiven in die Entscheidungsprozesse hinein. Punkte, an die wir Erwachsene vielleicht nicht denken würden.
Eine ernsthafte Partizipation ist Beziehungsarbeit und ein Beitrag zur Persönlichkeitsbildung von Kindern und uns Erwachsenen. Partizipation bedeutet, miteinander in den Dialog zu gehen und Vor- und Nachteile gemeinsam abzuwägen. Deine Rolle als Fachkraft ist es, den Kindern die notwendigen Informationen bereitzustellen, damit sie eine Entscheidung selbst treffen können.
Um beim Beispiel des Trinkens zu bleiben, bedeutet das Bereitstellen von Informationen beispielsweise, dass du das Kind anregst, seine Körpersignale, die auf Durst hindeuten, bewusst wahrzunehmen. Rege die Kinder durch Fragen zu einem „Bodycheck“ an. Durch eine auf den Durst bezogene Sprache unterstützt du das Kind darin, seine Körpersignale wahrzunehmen, beispielsweise so:
- „Fühl mal deine Haare, die sind ganz feucht vom Toben. Hast du Durst?”
- „Du hast solch einen großen Schluck getrunken. Dein Mund war bestimmt ganz trocken?“
- „Fühl mal deine Stirn, die ist ganz warm vom Spielen. Hast du Durst?“
- „Fühl mal, wie erfrischend das Wasser in deinem Mund und in deinem Bauch ist. Tut dir das gut?“ (nach dem Trinken)
Auch wenn sich das Kind in dem Moment aus einem Grund nicht dafür entscheidet, etwas zu trinken, ist das okay. Vielleicht hat es in dem Moment ein anderes Bedürfnis, das erst gestillt werden muss, bevor das Bedürfnis „Durst“ an der Reihe ist. Kein Kind verdurstet in der Zeit oder nimmt einen gesundheitlichen Schaden.
Gleichzeitig lernt das Kind mit der Zeit, seine Körpersignale wahrzunehmen, richtig einzuordnen und selbstständig zu handeln, d.h. seine Körpersignale zu verstehen und selbstständig etwas zu trinken. Zudem stärkst du durch diese Dialoge die Resilienz der Kinder im Alltag. Und das ist das weitaus wichtigere und langfristige Entwicklungsziel. Kinder lernen das alles nicht, wenn du sie immer wieder mit den Worten „Trink mal was“ zum Trinken anregst.
Die partizipative Erziehung legt bewusst den Fokus auf die Fähigkeiten und Ressourcen des Kindes. Sie will das Kind darin bestärken, seine Wünsche frei zu äußern, diese zu begründen und sich aktiv am sozialen Miteinander zu beteiligen.
WICHTIG
Falls du an dieser Stelle denkst, “Dann trinken die Kinder überhaupt nichts.” Abhängig vom Alter empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) täglich folgende Trinkmengen, Angaben in Millilitern (ml):
- bis 3-Jährige etwa 820 ml (das sind rund 4 Trinkgläser voll über den Tag verteilt)
- 4- bis 6-Jährige etwa 940 ml (das sind rund 5 Trinkgläser voll über den Tag verteilt)
Du siehst schon, wenn es um das Thema „Partizipation“ geht, ist es häufig notwendig, dass wir Erwachsene uns auch schlau machen, z.B. über die empfohlenen Trinkmengen, um dann zu entscheiden, welche Rahmenbedingungen wir schaffen müssen, damit die Kinder sich entwicklungsangemessen beteiligen.
Partizipation ist kein nice to have, sondern wichtig
Partizipation in der Kita zu leben, ist kein Projekt und auch keine nice to have, sondern wichtig und gesetzlich durch die UN-Kinderrechtskonventionen, das Kinder-und Jugendhilfegesetz (KJHG), das Sozialgesetzbuch / Achtes Buch (SGB VIII) und im Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder (KiTaG) festgelegt.
Du bist dazu verpflichtet, wirkliche Partizipation zu leben. Partizipation in der Pädagogik ist wichtig:
- Partizipation wirkt sich positiv auf die Persönlichkeitsbildung, die Selbstwirksamkeit, das Selbstvertrauen und das gesamte Selbstbild des Kindes aus.
- Entscheidungen, Bedürfnisse und Interessen des einzelnen Kindes, von anderen Kindern und der Gruppe werden besser kennengelernt.
- Partizipation hilft den Kindern zu erleben, dass ihr Selbst und ihr Leben wichtig und wertvoll sind.
- Ebnet den Weg für Konfliktverhalten, Meinungsäußerung und Demokratieverständnis.
- Macht Kinder stark (Resilienz).
Partizipation ist mehr als „mitmachen dürfen“: Gemeint ist, übertragen auf die Kita, die durch Rechte zugesicherte Beteiligung der Kinder an konkreten Entscheidungen, von denen sie persönlich betroffen sind.
Auf welcher Stufe der Partizipation steht deine Kita?
Nach Roger Hart (1992) und Wolfgang Gernert (1993) gibt es 9 Stufen der Beteiligung, die ich dir an dieser Stelle vorstellen möchte. Lies die einzelnen Stufen aufmerksam durch und überlege bei jeder Stufe immer, wo eure Kita gerade steht.
Stufe | Erklärung | Beispiel |
1. Fremdbestimmt | Wenn Kinder dazu angehalten werden, Dinge zu tun, die sie entweder gar nicht verstehen (können) oder aber weil die Erwachsenen es ja nur zu ihrem Besten wollen, kann man sowohl von Unterdrückung als auch von Manipulation reden. Bei dieser Stufe werden die Kinder weder über den Hintergrund jener Aktion in Kenntnis gesetzt, noch verstehen sie die Aktion an sich. Inhalte, Arbeitsformen, Ergebnisse und Ziele sind fremddefiniert und die Kinder werden lediglich zum Zwecke der Aufmerksamkeit vorgeschickt. | Kinder als Plakatträger auf Demonstrationen irgendwelcher Interessengruppen – und sei es für die Kinder selbst. Kinder, die für einen Wettbewerb Bilder malen sollen, ohne zu wissen, worum es geht. |
2. Dekoration | Bei dieser „Beteiligung“ handelt es sich um die Form, wie man es von manchen Veranstaltungen her kennt. Kinder führen eine („ach so süße“) Tanzeinlage auf, ohne zu wissen, worum es bei jener Veranstaltung eigentlich geht. | Kinder singen ein Lied oder tanzen auf einem Volksfest, Gemeindefest etc. ohne zu wissen, worum es bei dem Fest eigentlich geht. Kinder sagen für einen „hohen“ Besuch bei euch in der Kita ein Gedicht auf, ohne zu wissen, worum es geht. |
3. Alibi-Teilnahme | Kinder nehmen an Konferenzen oder am Kinderparlament teil, haben aber nur scheinbar eine Stimme mit Wirkung, z.B. weil die Erwachsenen die Mehrheit haben, die Kinder keine Informationen über die Hintergründe und Wirkung ihrer Stimme haben; sie werden nicht in der Entscheidungsfindung beraten. Die Kinder entscheiden freiwillig, ob sie teilnehmen. | Manche Stadtteilgremien oder Ausschreibungen. Manche Kinderkonferenzen. Du fragst die Kinder, ob ihr mit Bällen oder mit Tüchern turnen sollt. Du triffst aber die Entscheidung. Ein Kind würfelt freiwillig im Morgenkreis, welches Spiel, Lied, Fingerspiel etc. gespielt wird. Der Würfel (Zufall) entscheidet, welches. |
4. Teilhabe | Bei dieser Stufe würden Kinder über die bloße Teilnahme hinaus ein gewisses sporadisches Engagement der Beteiligung zeigen (können oder dürfen). | Die Kinder können entscheiden, ob sie aus der blauen oder roten Tasse trinken. Die Kinder entscheiden, ob sie Laterne A oder Laterne B basteln wollen. |
5. Zugewiesen, aber informiert | Zwar wird in dieser Form ein Projekt von dir vorbereitet, z.B. das Projekt “Frühling”, weil es Frühling ist. Allerdings sind die Kinder vorher gut informiert worden, wissen und verstehen also, worum es gehen soll und wissen, was sie selber bewirken können und dürfen. | Du oder das Team wählen das Projekt aus, das in den nächsten Wochen durchgeführt wird. Die Kinder werden über das Projekt informiert. Du fragst in einer Facebookgruppe nach Projektideen und entscheidest dich dann für ein Projekt. Die Kinder werden über das Projekt informiert |
6. Mitwirkung | Durch Fragebögen oder Interviews dürfen bzw. können die Kinder eigene Vorstellungen, Wünsche oder Kritik äußern. Allerdings sind sie bei der konkreten Planung und Umsetzung des darauf eventuell folgenden Projektes außen vor. | Mittels Kinderbefragungen fragst du die Kinder, welches Projekt ihr durchführen wollt. Die Planung des Projektes macht ihr im Team ganz alleine, ohne die Kinder einzubeziehen. Ihr habt ein Beschwerdemanagement für Kinder. Die Kinder haben keinen Einfluss auf die Veränderungen nach ihrer geäußerten Beschwerde. |
7. Mitbestimmung | Hier kann man dem bisherigen Argumentationsstrang zufolge das erste Mal von wirklicher Beteiligung sprechen. Es geht um „ein Beteiligungsrecht, das Kinder tatsächlich in Entscheidungen einbezieht und ihnen das Gefühl des Dazugehörens und der Mitverantwortung begründet vermittelt. Auch hier kommt die Idee des Projektes von Erwachsenen, alle Entscheidungen werden aber gemeinsam und demokratisch mit den Kindern getroffen. | Alle Entscheidungen, die ein Projekt betreffen, d.h. die Schwerpunkte, einzelne Aktivitäten etc., werden gemeinsam und demokratisch getroffen, z.B. durch Abstimmung. Ihr habt einen Morgenkreis in der Kita. Die Kinder entscheiden z.B. gemeinsam über die Regeln des Morgenkreises, z.B. Teilnahme der Kinder, Auswahl von Inhalten etc. Das kann in einer Kinderkonferenz verbindlich thematisiert werden. Ein Raum in eurer Kita wird umgestaltet. Die Kinder werden von der Planung bis zur Fertigstellung in vollem Umfang mit einbezogen. Alle damit verbundenen Entscheidungen werden demokratisch getroffen. |
8. Selbstbestimmung | Anders als bei der Form der Mitbestimmung, wird das Projekt von den Kindern selbst initiiert. Die Erwachsenen stehen aber unterstützend und fördernd zur Seite. Die Entscheidungen werden von den Kindern selbst getroffen, wobei die Erwachsenen eventuell beteiligt werden, die Entscheidungen aber immer mittragen. | Die Kinder regen an, neue Regeln für die Nutzung des Rollenspielbereichs festzulegen, da es zuvor immer wieder Probleme gegeben hat. Die Fachkräfte unterstützen diesen Wunsch, moderieren die Kinderkonferenz, beteiligen sich und tragen die demokratisch getroffene Entscheidung mit. |
9. Selbstverwaltung | Gemeint ist die selbstorganisierte Arbeit von z.B. Kindergruppen im Hort, die ihre Entscheidungen den Erwachsenen lediglich mitteilen. Dabei hat die selbstorganisierte Gruppe völlige Entscheidungsfreiheit, was ihre Angelegenheiten betrifft. | Die Kinder entscheiden gemeinsam und demokratisch über ein Projekt. Sie teilen die Entscheidung den Erwachsenen nur noch mit. |
Hast du herausgefunden, auf welcher Stufe der Partizipation eure Kita steht?
- Bei den ersten beiden Stufen geht man davon aus, dass keine Partizipation stattfindet.
- Hast du dich in der dritten, vierten und fünften Stufe wiedergefunden? Diese werden erst als Vorstufe zur Partizipation bezeichnet. Du bist auf einem guten Weg, allerdings gibt es auch noch ein großes Ausbaupotenzial.
- Erst ab Stufe 6 spricht man von einer Partizipation. Falls du dich hier wiedergefunden hast, dann arbeitest du sehr partizipativ und setzt den gesetzlichen Auftrag um.
Sicherlich gibt es nicht die eine Stufe, auf der ihr steht. Oftmals schwanken wir zwischen unterschiedlichen Stufen, je nach Anlass, Rahmenbedingungen und Situation. Das Ziel sollte es aber sein, eine echte Mitbestimmung der Kinder sicherzustellen, d.h. ihr solltet euer Handeln in der Kita so ausrichten, dass ihr mindestens auf Stufe 6 seid. Das geht nicht von heute auf morgen, sondern bedarf einer guten Planung und Zeit. Das Team und die Kinder sollten in die Partizipation reinwachsen.
Falls du gerade erkannt hast, dass die Partizipation in deiner Kita noch ausbaufähig ist und du wissen willst, welche Schritte du gehen solltest, um die Partizipation zu erhöhen, dann melde dich zu unserer Webinar-Reihe an.
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Webinar-Reihe: "Wir entscheiden gemeinsam" - Partizipation von Kindern in der Kita
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Nadja Peuckert ist staatlich anerkannte Erzieherin, i.A. B.A. Bildungswissenschaften, Dozentin, Bildungsreferentin und Multiplikatorin des Infanskonzepts der Frühpädagogik. In diesem interaktiven Webinar teilt sie praktische Stolperfallen & einfache Handlungsstrategien und beantwortet deine Fragen zum Thema Partizipation.
Die Live-Webinare finden an folgenden Tagen statt:
- Mittwoch, der 26. April 2023, 18:00 – 20:30 Uhr
- Mittwoch, der 3. Mai 2023, 18:00 – 20:30 Uhr
Das lernst DU:
- Bedeutung und Begriffsbestimmung
- Die Bedeutung einer partizipativen Grundhaltung
- Das macht eine partizipative Grundhaltung aus
- Die fünf Prinzipien der Partizipation
- Überblick: Die gesetzlichen Grundlagen zu Kindeswohl und Kinderrechten
- Die Chancen und Grenzen der Beteiligung von Kindern im Alltag
- Ideensammlung zur Umsetzung von Partizipationsmöglichkeiten in der Praxis
- Verankerte Glaubenssätze: So erkennst und benennst du sie
- Der Umgang mit Adultismus - So erkennst du ihn
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Mehr Informationen und Anmeldung zu den Webinaren unter:
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